Ist abstrakte Kunst politisch?
Vor Jahren traf ich einen Küenstler, der mir im Gespraech sagte, dass Kunst immer politisch sein muss. Hmm, das traf natuerlich einen Punkt. Ich selbst sehe mich ja schon als einen politischen Menschen, zumindest politisch interessiert und politisch denkend. Aber meine Kunst? Auf den ersten Blick wohl eher nicht. ... und doch: Meine Kunst greift kein bestimmtes politisches Thema auf, sie zeigt nicht auf politische Mißstaende hin oder behandelt politische Fragen. Aber ich als Mensch bin ein politisches Wesen, ich beziehe immer einen Standpunkt, in dem, wie ich mich in dieser Gesellschaft bewege, wie ich mich bilde, ob ich mich bilde, was ich aeußere, was ich tue oder eben nicht tue. Und in dem, wie ich der Kunst Raum in meinem Leben einraeume, welchen Stellenwert ich ihr beimesse - allein schon dadurch beziehe ich einen Standpunkt, gesellschaftlich und politisch. Ok, aber meine Kunst? Abstrakte Malerei und Politik? In meinen Bildern geht es mir um das Wesentliche der Malerei, um Wahrnehmung und Wirkung von Farbe. Ich binde den Betrachter in diese Auseinandersetzung mit ein. Das Sich-Besinnen auf das Wesentliche, auf sich selbst, das Sich-Fragen (Was sehe ich? Was nehme ich wahr?) eroeffnet - so hoffe ich - Neues. Und ist es nicht schon politisch, wenn man etwas in Frage stellt und wenn es zunäechst nur die eigene Wahrnehmung ist? Raum laesst, um vielleicht neue Perspektiven zu gewinnen? An-Sehen, sich be-rüehren lassen, sich wundern und Fragen zulassen, die neue Antworten fordern. Dialog der Farbe - so habe ich eine Werkreihe betitelt. Es geht um (Farb-)Kontraste und (Farb-)Harmonien, um den Konflikt des Neben-, MIt- oder Gegeneinander. Ist das nicht grundlegend politisch? Das Politische der Malerei liegt in der inneren Freiheit im Augenblick des Betrachtens. Ich sehe, was ich sehen will. Ich sehe, was mich beruehrt. Ich lasse dem anderen die Freiheit, zu sehen, wahrzunehmen, was er sehen will und kann. Und ich gebe ihm die Verpflichtung mit, sich auf das Sehen als einen Prozess von Hinschauen, Wahrnehmen und Hinterfragen einzulassen. Abstrakte Kunst ist füer mich zutiefst politisch. Sie tritt in einen gleichberechtigten Dialog mit dem Betrachter und zwingt ihn, zu sehen, zu fragen und Antworten zu suchen. Und wenn es am Ende nur die vermeintlich banale Frage ist: Ist das Kunst oder kann das weg?
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Liebe Kunstfreunde,
Museen und Galerien sind geschlossen, Ausstellungen köennen nicht besucht werden. Virtuelle Ausstellungsrundgäenge werden von vielen Museen und Galerien angeboten und sind eine wunderbare Notlöesung. Aber eben nur eine Notlöesung - Kunst und insbesondere Malerei will analog erfahren, gesehen, visuell erfüehlt werden. Jeden Tag, wenn ich ins Atelier trete, mich der Geruch von Öelfarbe und Terpentin begrüeßt, mich das noch unfertige Bild an der Wand mit seiner Farb- und Lichtmagie visuell einfäengt und ich das Wechselspiel von Licht und Farbe föermlich spüre, dann ist das eine Erfahrung und eine physische Präesenz, die kein digitales Bild ersetzen kann. Und wer meine Arbeiten der letzten Jahre kennt, weiß wie wichtig die räeumliche Präesenz und Wahrnehmung von Farbe bei meinen Bildern ist und dass keine digitale Aufnahme, kein Foto diese wiedergeben kann. Das Blau in meinen Arbeiten aus den Serien “blue harmony” und “Blue in the dark” läesst mich eine Tiefe empfinden, wie ich sie bei keinem anderen Farbton finde, und lange war es für mich fast undenkbar, von diesem Blau loszulassen und in andere Farben einzutauchen. Doch wie nebenbei ist das passiert: derzeit leuchten mir gelbe Farbtöene in meinem Atelier entgegen, und ich freue mich üeber die Leichtigkeit und Intensitäet dieser Bilder - sie beflüegelt mich und läesst mich dankbar werden füer den Schatz, den ich hier erfahren darf. Ihr seht, ich werde besinnlich und poetisch - vielleicht nachvollziehbar in der momentanen Situation, in der wir alle auf uns selbst zurüeckgeworfen werden und innehalten müessen. Aber ich möechte euch nicht nur darüeber etwas erzäehlen, sondern auch üeber das, was konzeptionell in mir vorgeht, wenn ich male und diese Bilder schaffe, die so streng und kontrolliert wirken. Warum diese Strenge, warum die kontrolliert gesetzte Linie, warum die scharfe Abgrenzung der Farben, warum üeberhaupt zwei Farbtöene? Warum keine spannenden malerischen Üebergänge und Farbverläeufe, warum diese stoische Geradlinigkeit? Füer mich bedeutet jeder Farbverlauf, jede malerische Spur Ablenkung vom Wesentlichen: der Farbe und ihrer Wirkung an sich. Die Auseinandersetzung mit dem essentiellen Material der Malerei, der Farbe an sich, bewegte schon viele Küenstler (Albers, Rothko, Klein, der Müenchner Küenstler Ruprecht Geiger, um nur wenige zu nennen, die füer mich Vorbild sind) - wer mag, kann sich bei ihnen umschauen und wird viele Gemeinsamkeiten aber auch grundlegende Unterschiede feststellen. Zurüeck zu mir: die klare Linie zwischen den beiden Farbtöenen erleichtert es mir, den Fokus auf die Farbtöene und ihr Miteinander oder Gegeneinander zu lenken. Warum dann zwei Farbtöene? Warum kein singuläeres monochromes Farb-Bild? Jedes Bild und jede Farbe steht immer im Kontext seiner Wahrnehmung, keine Farbe kann isoliert füer sich betrachtet werden, sie nimmt einen Dialog auf mit ihrer Umgebung. Und auch darauf möechte ich den Blick lenken: was passiert mit Gelb wenn es neben Gelb gesetzt wird? und dann wieder neben ein anderes Gelb? Wie wird Helligkeit und Dunkelheit eines Farbtons empfunden? Was macht es mit dem Bild und meiner Wahrnehmung, wenn ich den verschiedenen Farbtöenen unterschiedlich viel Raum auf der Leinwand zugestehe? Fragen üeber Fragen, die ich füer mich nur beantworten kann, wenn ich vor dem Bild stehe und mich auf die Auseinandersetzung damit einlasse. Es ist nie einfach, üeber Kunst zu reden, vor allem üeber die eigene Kunst. Deshalb schließe ich jetzt mit den Worten von Gerhard Richter: “Wenn ich reden köennte, wüerde ich nicht malen.” Ich wüensche uns allen, dass direktes visuelles und physisches Erleben von Kunst bald wieder möeglich ist, und wer mich dann in meinem Atelier besuchen möechte, um Gelb oder Blau auf sich wirken zu lassen, der ist herzlichst eingeladen .-)) … und ich wüensche euch allen Gesundheit und innere Gelassenheit, eure Elke Reis |
Elke Reisabstract and figurative painting Categories
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May 2020
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